Es zerreißt die Familie mit dem Intensivpflegegesetz

Dein Kind ist beat­met, dann ab ins Heim mit ihm. So zumin­d­est ist die Quin­tes­senz für viele Betrof­fene eines Geset­zen­twur­fes zur Inten­sivpflege. Ob…

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Dein Kind ist beat­met, dann ab ins Heim mit ihm. So zumin­d­est ist die Quin­tes­senz für viele Betrof­fene eines Geset­zen­twur­fes zur Inten­sivpflege. Ob es andere Vorteile bringt, tritt dabei in den Hin­ter­grund.

Viele von euch haben es gele­sen oder gehört oder sog­ar eine Peti­tion zu diesem The­ma unterze­ich­net: Es gibt einen Ref­er­ente­nen­twurf für ein neues Gesetz zur außerklin­is­chen Inten­sivpflege.

Auch bei mir sorgt es für Bauch­schmerzen. Aber gibt es denn dafür auch ein Pro?

Pro für ein Intensivpflegegesetz

Ich darf dem ein Pro geben, ja, da der Geset­zge­ber sich die Mühe macht, die jet­zt beste­hende außerklin­is­che Inten­sivpflege als The­ma zu benen­nen und weit­er entwick­eln zu wollen.

Nur dies als ein­fache Tat­sache!

Ein Pro ist auch, weil die The­men Reha­bil­i­ta­tion, mit Schw­er­punkt Entwöh­nung von der Beat­mung und/oder Tra­cheostoma, ange­gan­gen wird, die Finanzierung der Inten­sivpflege in sta­tionären Ein­rich­tun­gen und die Qual­ität­sen­twick­lung.

Ein anderes Pro wäre, dass die sta­tionäre Ver­sorgung eines Inten­siv­pa­tien­ten für die nahen Ange­höri­gen kostengün­stiger wer­den solle.

Grob gesagt: Das war es, was uns Betrof­fene auf dem ersten Blick bet­rifft.

Es gibt in diesem Paket die eine oder andere weit­ere Anpas­sung, die der eine oder andere als Vorteil sehen kön­nte. Dies würde ich hier bei­seite leg­en wollen.

Contra für ein Intensivpflegegesetz

Das Con­tra, ich bin gegen ein solch­es Gesetz oder einzel­nen Teilen. Bess­er gesagt, ich sehe den Entwurf kri­tisch, was mit der Frage begin­nt: Braucht es dies Gesetz? Nach der Fachge­sellschaft für Außerklin­is­che Inten­sivpflege e.V. (KNAIB) gibt es ein Nein. Sie schreiben, ich zitiere:

Insoweit bedarf es kein­er neuen geset­zlichen Regelung, son­dern ein­er kon­se­quenten Umset­zung des bere­its heute gel­tenden Rechts und hierzu nun­mehr des Erlass­es von Rahmen­empfehlun­gen für die Inten­sivpflege, die sich an den Vor­gaben des § 12 SGB V ori­en­tiert und eine ein­heitliche Ver­sorgung, ins­beson­dere der Inten­siv­pa­tien­ten, sich­er­stellt. Der Geset­zge­ber mag daher bevor er neue Geset­zesini­tia­tiv­en ergreift, die bere­its Beste­hen­den umset­zen und die hier­nach Verpflichteten anhal­ten, ihrer Organ­i­sa­tions- / Qual­itätsver­ant­wor­tung nachzukom­men.

Stel­lung­nahme der KNAIB Fachge­sellschaft für Außerklin­is­che Inten­sivpflege e.V. abgerufen 01.09.2019 https://knaib.de/wp-content/uploads/2019/08/KNAIB-Stellungnahme-Referentenentwurf-Novellierung-SGB-V‑v.pdf

Und wenn ich die Geset­zesidee als Vater lese, ver­fol­gen mich die Gedanken­schnipsel über Kosteneinsparung, ambu­lante Inten­sivpflege zu Hause soll been­det wer­den und die 1:1 Pflege von beat­meten und/oder tra­cheotomierten Patien­ten solle möglichst min­imiert wer­den. Als Auswirkung dieses Entwur­fes wer­den die Fam­i­lien mit schw­er erkrank­ten Men­schen zer­ris­sen.

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Intensivpflege ist personalintensiv

Die Idee, dass Inten­sivpflege in ein­er sta­tionären Ein­rich­tung kostengün­stiger sei als in der eige­nen Woh­nung, zu Hause bei der Fam­i­lie mag auf den ersten Blick eine Wahrheit zeich­nen. Doch glaube ich dies nicht für alle inten­sivpflichti­gen Patien­ten, hier ein paar Beispiele:

  • Mobile Men­schen mit Beat­mung brauchen auch für ihre Aktiv­itäten eine 1:1 Betreu­ung
  • Viele Erkrank­te mit Inten­sivpflege haben ein kom­plex­es Krankheits­bild mit vie­len Behand­lungs- und Grundpflege­maß­nah­men, die Zeit erfordern.
  • Viele Patien­ten mit ständi­gen lebens­bedrohlichen Ereignis­sen brauchen eine Fachkraft, die sofort reagiert, also immer zur Stelle ist und den Men­schen in ein­er schw­eren Krise unverzüglich ver­sor­gen kann.
  • Kinder­garten- und Schul­be­gleitung bindet eine Fachkraft 1:1.

Es mag sein, dass schw­er erkrank­te Patien­ten gibt, zum Beispiel mit schw­erem Hirn­schaden, die zwar eine ständi­ge Beobach­tung brauchen und es doch Zeit­en von Leer­lauf für die Pflege­fachkräfte gibt. Solch „Leer­lauf“ gibt es auch in anderen Jobs.

Leer­lauf oder Mikropausen in der Inten­sivpflege sind keine „wirk­lichen“ Pausen, son­dern es ist wie eine strenge „Sitzwache“. Die schw­er erkrank­ten Men­schen brauchen eine ständi­ge, pausen­lose Kranken­beobach­tung, um eine spon­tane, nicht vorherse­hbare gesund­heitliche Krise sofort zu erfassen. Dann muss die Fachkraft auch richtig, angemessen und sich­er inter­ve­nieren.

Diese ständi­ge Kranken­beobach­tung, Inter­ven­tions­bere­itschaft und die erfol­gten Pflege­maß­nah­men bei Krisen erfordern eine wache und geschulte Pflege­fachkraft. Denn aus der Beobach­tung des Kranken, was sich dort zeigt, muss die richtige medi­zinis­che Maß­nahme abgeleit­et wer­den.

Wenn eine falsche Behand­lung erfol­gt oder eine zu späte, weil die Pflege­fachkraft woan­ders beschäftigt ist, kann die/der Erkrank­te gesund­heitlichen Schaden erlei­den, was schlimm­sten­falls tödlich enden kön­nte

Deshalb gilt, es ist dem schw­er erkrank­ten Men­schen, dem Kind oder Jugendlichen die Pflege zu kom­men zu lassen, die es benötigt. Bei schw­er erkrank­ten Kindern und Jugendlichen sehe ich häu­fig in den sta­tionären Kinder­hos­pizen, dass sie auch am Tag eine 1 : 1 — Pflege bedür­fen.

Bei eini­gen, auch bei uns, gibt es Pflegetätigkeit­en, da bedarf sog­ar zwei Fachkräfte.

Bei ein­er soge­nan­nten ganzheitlichen Pflege, wie sie bei vie­len in den Köpfen als Begriff lebt, geht es nicht nur um sauber und satt, son­dern um die Bedürfnisse des zu pfle­gen­den Men­schen, um Leben­squal­ität, um ein lebenswertes Leben trotz ein­er schw­eren und/oder lebensverkürzen­den Erkrankung.

Eine schwere Erkrankung, die ständi­ge Pflege erfordert, kann dabei als eine Behin­derung oder auch Eige­nart wahrgenom­men wer­den und trotz aller Ein­schränkun­gen kann der erkrank­te Men­sch ein Wohl­sein erlan­gen, sodass sie oder er wieder pro­duk­tiv ist und sog­ar unsere Gesellschaft mit gestal­tet.

Dies sollte ein Ziel guter Pflege sein.

Pro Kinderhospiz.de Familie Zuhause Lassen
Lasst die Fam­i­lie zusam­men!

Zwangseinweisung ins Heim

Es spricht nichts dage­gen, schw­er erkrank­te Men­schen, ob Erwach­sene oder Kinder, sta­tionär oder in einem Heim zu ver­sor­gen.

Das wichtig­ste dabei ist und dies sollte erfüllt sein: Ja, wenn dies der Wun­sch des Erkrank­ten und der Fam­i­lie ist.

Mit diesem Geset­zen­twurf wird aber der Wun­sch und Wille der Fam­i­lie ins Gegen­teil verkehrt. Der Jugendliche mit inten­sivpflegebe­darf muss mit 18 ins Heim oder ein­er Inten­siv-Wohnge­mein­schaft. Selb­st den Fam­i­lien mit jün­geren Kindern kann das Zuhause stre­it­ig gemacht wer­den.

Die Betrof­fe­nen, so der Geset­ze­sen­twurf, müssen selb­st die Unzu­mut­barkeit ein­er Ein­weisung ins Heim oder Inten­siv-Wohnge­mein­schaft beweisen. Was soll das?

Darüber entschei­det dann ein Sach­bear­beit­er der Krankenkasse. Was soll das, Num­mer zwei?

Es mag sein, dass es Sto­rys in der häus­lichen Inten­sivpflege gibt, die nicht opti­mal ver­laufen, da zum einen nicht genü­gend Pflegeper­son­al vor Ort ist und über­forderte Eltern die Pflege selb­st machen müssen/wollen.

Oder es arbeit­et ein Pflege­di­enst vor Ort mit unzure­ichen­der Qual­ität, weil er für die Inten­sivpflege ungeschultes Per­son­al sendet, schlimm­sten­falls Pflegekräfte ein­set­zt ohne passende Aus­bil­dung.

Doch hat dies nicht die Ärztin / der Arzt, welche/r die Inten­sivpflege verord­net hat, zu prüfen und mit der Fam­i­lie und/oder Erkrank­ten zu besprechen? Wenn es die Ärztin / der Arzt selb­st nicht gut prüfen kann, vielle­icht kon­trol­liert es der medi­zinis­che Dienst der Krankenkassen?

Ist es nicht die Auf­gabe der Ärztin / des Arztes mit der Fam­i­lie zusam­men zu entschei­den, ob es Alter­na­tiv­en gibt, wenn die Pflege zu Hause schlecht läuft?

Ich denke ja, auch wenn die Pflege in einem Heim bess­er sei, erset­zt es nicht das, was eine Fam­i­lie aus­macht.

Ein Heim oder Inten­sivpflege-Wohnge­mein­schaft kann den men­schlichen Grundbedürfnis­sen wie Selb­st­wirk­samkeit, Sicher­heit und Selb­st­bes­tim­mung eines Erkrank­ten ent­ge­gen­ste­hen. Denn der Erkrank­te hat sich nach dem Tagesablauf und der Struk­tur der Ein­rich­tung zu richt­en und dementsprechend den All­t­ag zu gestal­ten.

Das kann schmerzhaft wer­den, weil zum Beispiel eine indi­vidu­elle Pflege vor­bei sein kann.

Die Erfül­lung der Grundbedürfnisse für einen Men­schen kann für sein Wohl­sein so wichtig sein, dass er sog­ar eine schwierigere Lebenssi­t­u­a­tion oder den Tod vorzieht. Einige Patien­ten mit ALS sagen es klar: Wenn sei beat­met wer­den müssten und sie dann ins Heim müssen, dann sagen sie zu der Beat­mungs­ther­a­pie nein, auch wenn es der frühere Tod bedeutet.

Ist dies der Wille eines Inten­sivpflegege­set­zes?

Mit dem Intensivpflegegesetz ins Aus der Familie

Wenn dies Gesetz so kommt, wie jet­zt vorgeschla­gen, wird es viele Fam­i­lien zer­reißen. Es spricht den Eltern sog­ar ab, dass sie für ihr Kind, egal ob es acht oder zwanzig Jahre alt ist, gut sor­gen zu kön­nen.

Den Eltern von lebensverkürzend erkrank­ten Kindern wird dazu die gemein­same Leben­szeit mit ihrem Kind genom­men. Denn viele lebensverkürzt erkrank­ten Kinder mit Inten­sivpflege kön­nen jed­erzeit schw­er­ste Krisen rutschen, bei denen sie ver­ster­ben kön­nen.

Wenn das jugendliche Kind ins Heim muss, fehlt diese gemein­same Zeit. Auch sind in vie­len Fällen die Eltern die Experten über die Erkrankung des Kindes. Sie müssen jed­erzeit schnell entschei­den kön­nen, was bei Krisen gemacht wird.

Entschei­dun­gen zu tre­f­fen ist für die Eltern wichtig, denn sie müssen damit klarkom­men, wenn ihr Kind stirbt, dass sie für ihr Kind best­möglich entsch­ieden und gesorgt haben.

Dazu sind die Eltern häu­fig „Über­set­zer“ der Kinder und Jugendlichen, die nicht für sich selb­st sprechen kön­nen.

Es ist eine schwere Belas­tung und zer­mürbt, wenn ein Men­sch in ein­er schwieri­gen Lebenssi­t­u­a­tion gefan­gen ist und sie / er diese nichts gestal­ten kann. Men­schen kön­nen “allein” dadurch krank wer­den.

Entschei­dun­gen tre­f­fen, egal wie groß oder klein diese sind, zeigen an, ich kann etwas bewirken (Selb­st­wirk­samkeit) und mein, unser Wille wird beachtet. Es gibt einen Weg — ich kann diese schwierige Lebenssi­t­u­a­tion gestal­ten, wenn auch im Kleinen, ich bin ihr damit nicht gnaden­los aus­geliefert.

Ja, ich weiß, dass es für einige Fam­i­lien oder Eltern­teile schw­er sein kann, die eine oder andere Entschei­dun­gen über die Ther­a­pie oder ähn­lichem zu tre­f­fen. Denn es ist nicht gewiss, wie sich das Leben des erkrank­ten Kindes weit­er gestal­tet.

Ich sehe es aber als einen Schatz für die Fam­i­lien mit schw­er erkrank­ten Kindern an, wenn sie Entschei­der sind. Wenn sie die Lebenssi­t­u­a­tion, damit das Fam­i­lien­leben, gestal­ten kön­nen. Son­st passt es wirk­lich von tod­kranken Kindern zu sprechen, bei denen nichts mehr zu machen ist, welch­es den Eltern selb­st die Lebens­gestal­tung nimmt.

Ein Referentenentwurf und die Stellungnahmen

Mehrere Vere­ine und Ver­bände haben zu diesen Geset­ze­sen­twurf ihre Beurteilung und Mei­n­ung veröf­fentlicht oder sog­ar der Poli­tik mit­geteilt.

Es gibt auch eine Online-Peti­tion zum Mitze­ich­nen, wer sich der Kri­tik an dem Entwurf anschließt.

Hier eine kleine Auf­stel­lung ver­schieden­er Stel­lung­nah­men zum Ref­er­ente­nen­twurf:

Deutsch­er Kinder­hos­pizvere­in

Weit­ere Stel­lung­nahme auf der Web­seite der INTEN­SIVkinder zu hause e.V.

Ein Brief der Eltern der PCH-Fam­i­lien an die Kinder­hos­pizarbeit.