Lebensbedrohlich erkrankt und doch Kinderhospiz

Das Ange­bot der Kinder­hos­pize und Kinder­hos­piz­di­en­ste ist für die Fam­i­lien mit einem lebensverkürzend erkrank­ten Kind zugeschnit­ten. Damit sich also diese  Türen „öff­nen“, braucht…

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Das Ange­bot der Kinder­hos­pize und Kinder­hos­piz­di­en­ste ist für die Fam­i­lien mit einem lebensverkürzend erkrank­ten Kind zugeschnit­ten.

Damit sich also diese  Türen „öff­nen“, braucht es diese Prog­nose. Doch ist diese, lebensverkürzend erkrankt, von sich aus nicht immer klar.

Zum einen lässt es sich nicht immer aus den „plat­ten“ Diag­nosen eines Kindes ableit­en, zum anderen gibt es Kinder und Jugendliche, die keine Haupt­di­ag­nose erhal­ten haben, aber es ein abbauen­des Geschehen, eine Ver­schlechterung der Krankheit beobachtet wer­den kann.

Als dritte Gruppe würde ich noch die „rein“ lebens­bedrohlich erkrank­ten Kinder und Jugendlichen sehen. 

Damit ste­ht die Frage, ist die Kinder­hos­pizarbeit auch für lebens­bedrohliche Erkrankun­gen da? 

Aus mein­er beru­flichen Per­spek­tive als Koor­di­na­tor für einen Kinder­hos­piz­di­enst gebe ich dem ein Ja.

Was ist eine lebensbedrohliche Erkrankung?

Um dies zu beant­worten, schaue ich in die Richtlin­ie für häus­liche Krankenpflege, den hier kann ich es aus dem Punkt 24. Kranken­beobach­tung, spezielle gut ableit­en vom Text:

Denn die spezielle Kranken­beobach­tung ist verord­nungs­fähig, wenn: 

“wenn mit hoher Wahrschein­lichkeit sofor­tige pflegerische/ärztliche Inter­ven­tion bei lebens­bedrohlichen Sit­u­a­tio­nen täglich erforder­lich ist und nur die genauen Zeit­punk­te und das genaue Aus­maß nicht im Voraus bes­timmt wer­den kön­nen …” (aufgerufen am 25.07.19)

Richtlin­ie des Gemein­samen Bun­de­sauss­chuss­es über die Verord­nung von häus­lich­er Krankenpflege https://www.g‑ba.de/downloads/62–492-1770/HKP-RL_2019-01–17_iK-2019–02-22.pdf aufgerufen 24.07.2019

Anders aus­ge­drückt: Eine Erkrankung, die lebens­bedrohlich wird, erzeugt so starke gesund­heitliche Prob­leme, dass das Leben bedro­ht ist, wenn nicht sofort eine medi­zinis­che und/oder pflegerische Hil­fe durch geführt wird (Inter­ven­tion). Als beson­deres Merk­mal gilt hier noch: Zu diesen gesund­heitlichen Prob­le­men kann es täglich kom­men, aber der Zeit­punkt ist nicht vorherse­hbar sowie auch nicht das Aus­maß der gesund­heitlichen Störung. 

Hier ein paar Beispiele:

  • ther­a­piere­sistente Epilep­sie mit täglichen Anfällen, deren Aus­maß nicht vorherse­hbar ist
  • eine schwere Schluck­störung, wobei wieder­holt Mate­r­i­al (Sekret, Nahrung) aus dem Mund und Rachen in die Luftröhre eventuell bis in die Bronchien / Lunge gelan­gen
  • Luftröhren­schnitt / Tra­cheostoma mit ständi­gen Sekre­tansamm­lun­gen in der Luftröhre, die nicht abge­hus­tet wer­den kön­nen
  • Beat­mung
  • schwere Herz­erkrankun­gen, wobei zu jed­erzeit die Arbeit des Herzens muskulär oder im Rhyth­mus ver­sagen kann und der Kör­p­er nicht mehr aus­re­ichend frischen Blut ver­sorgt wer­den kann.
Hinweis: Diese Liste ist nicht abschließend und beurteilt nicht, ob eine Erkrankung oder Symptome einer Erkrankung lebensbedrohlich sind. Dies ist ärztliche Aufgabe und kann hier nicht beantwortet werden. Die Aufzählung dient nur der Verdeutlichung.

Kinderhospiz und lebensbedrohlich

Warum ist eine Erkrankung, die „nur“ lebens­bedrohlich ist, auch ein The­ma für die Kinder­hos­pize und Kinder­hos­piz­di­en­ste?

Aus mein­er Erfahrung her­aus sind die Fam­i­lien (Eltern, Geschwis­ter oder Großel­tern) auch täglich mit der Frage des kom­menden Todes kon­fron­tiert und dies sog­ar sehr her­aus­fordernd.

Einige Eltern erleben dabei sehr häu­fig, wenn sie die inten­sive Pflege ihres Kindes übernehmen, Angst. 

Angst und Unsicher­heit, dass ein falsch­er Hand­griff am Kind oder ein „zu Spät“ sein  das Leben schw­er bedro­ht. Schlimm­sten­falls weit­ere gesund­heitliche Prob­leme erzeugt, welche sog­ar den Tod bedeuten kön­nen.

Mit dieser Last müssen viele Fam­i­lien leben ler­nen und auch mit der Nicht-Vorherse­hbarkeit,  es kann jed­erzeit zu ein­er schw­eren gesund­heitlichen Krise kom­men, bei der keine medi­zinis­che oder pflegerische Maß­nahme mehr hil­ft, zum Beispiel 

  • ein anhal­tender epilep­tis­ch­er Anfall mit Atem­störun­gen, welch­er einen Sauer­stoff­man­gel erzeugt,
  • eine Schluck­störung ist so mächtig, dass es eine schwere Lun­genentzün­dung fol­gt oder 
  • das Herz eines Herzkindes ver­sagt sein­er Auf­gabe.

Wie gesagt, bei solchen Geschehnis­sen kön­nen alle Beteiligte, ob Eltern oder Ärzte wie auch Pflege­fachkräfte macht­los sein.  

Damit sind, im weitesten Sinne, diese Kinder und Jugendliche auch lebensverkürzend erkrankt, auch wenn es keine Sta­tis­tik darüber gibt, wie lange ein junger Men­sch mit schw­eren, lebens­bedrohlichen Krisen im Schnitt lebt oder die Grun­derkrankung „allein“ das Leben nicht verkürzen würde. 

Doch die Gewis­sheit, jeden Tag kön­nte mein Kind ver­ster­ben, zer­stört auch bei diesen Fam­i­lien die gesamte Leben­s­pla­nung und set­zt emo­tionale Krisen.

Der philosophis­che Leit­spruch: Lebe jeden Tag so, als kön­nte es dein let­zter Tag sein. Dies mag auf dem ersten Blick gut und hil­fre­ich klin­gen, doch mein­er Erfahrung nach wird es schwierig, wenn es sich Jahre über Jahre oder sog­ar Jahrzehnte hinzieht.

Denn diesen Leit­spruch erlebte ich selb­st dabei als hem­mend, indem er zu präsent wurde ( unsere Tochter ist sowohl lebensverkürzend  als auch lebens­bedrohlich erkrankt).

Der Leit­spruch hat sein Recht, wenn ich schaue und prüfen will, was ist in meinen Leben wirk­lich wichtig. 

Doch ver­hin­derte er bei mir wieder eine Leben­s­pla­nung aufzunehmen, selb­st eine kurzfristige Pla­nung, was in den näch­sten drei Monate sein darf. 

Vielle­icht habe ich diesen Satz auch falsch „ange­fasst“ — dies ist aber ein anderes The­ma. 

Daher gilt für mich: Es ist äußerst schwierig, eine Leben­s­pla­nung zu find­en und zu fes­ti­gen, wenn diese jeden Tag wissentlich umge­wor­fen wer­den kann durch eine schwere gesund­heitliche Krise oder sog­ar den „plöt­zlichen“ Tod des eige­nen Kindes. 

Wir sind ständig in ein­er insta­bilen sta­bilen Lebenssi­t­u­a­tion.

Es ist dazu nie vorherse­hbar, wie wir auf den Tod unser­er Tochter reagieren wer­den, wie bei anderen Fam­i­lien die Trauer über ihr Kind ver­laufen wird. 

Somit ist hier die Kinder­hos­pizarbeit gefragt, diese Fam­i­lien mit „rein“ lebens­bedrohlich erkrank­ten Kindern zu unter­stützen und diese zu ent­las­ten. 

Weil, wie gesagt, eine lebens­bedrohliche Erkrankung das Leben mit hoher Wahrschein­lichkeit verkürzen kann.

Wie erge­ht es dir damit? Ist dein Kind schw­er erkrankt und planst du weit in die Zukun­ft?

Eine Sache beim Streit im Kinderhospiz

Nicht die gle­iche Mei­n­ung mit mein­er Part­ner­in zu teilen, da kann plöt­zlich einen Pflege­fehler den näch­sten jagen.  Kennst Du es auch? Dein Kind…

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Nicht die gle­iche Mei­n­ung mit mein­er Part­ner­in zu teilen, da kann plöt­zlich einen Pflege­fehler den näch­sten jagen. 

Kennst Du es auch? Dein Kind hat eine schwere Krise, Ihr als Eltern­paar fahrt es in die Klinik und der Arzt kommt, fragt Euch aus und Ihr redet bei­de darauf los. Ihr wider­sprecht Euch, meint, diese oder jene sei gemacht wor­den.

Der Arzt will es genauer wis­sen, doch ihr seit mit­ten drin. Du meinst, gegen Fieber hil­ft immer Parac­eta­mol, dein/e Part­ner­In sagt, es sei das Ibupro­fen, was immer …

Stopp!

Es ist wichtig und es gut, wenn Ihr bei­de, Mut­ter und Vater, nah an der Behand­lung und Pflege Eures schw­er erkrank­ten Kindes dran seit und zusam­men darüber entschei­det. 

Eltern tragen eine Meinung im Kinderhospiz

Doch meine Erfahrung erzählt mir auch, sei es im Kinder­hos­piz oder beim ambu­lanten Inten­sivpflege­di­enst: Wenn jedes Eltern­teil etwas anderes über die Pflege des Kindes den Pflege­fachkräften erzählt, ver­wirrt es diese nur.

Die Pflege­fachkräfte wis­sen nicht, was ist richtig, was ist falsch. Wie soll das Kind richtig, im Sinne der Eltern, gepflegt wer­den.

Einige Pflegekräfte spiegeln die fehlende Ein­heit der Eltern wider: „Ihr Mann hat dies mir aber so erk­lärt. Bitte besprechen Sie es zuerst mit ihm. Wenn Sie dann einig sind …“

Aber nicht alle Pflegekräfte sind so taff.

Her­aus­fordernd wird eine fehlende Einigkeit der Eltern beson­ders im Not­fallplan — also dem Plan, welch­er benen­nt, wie ein Not­fall aussieht (Beschrei­bung) und wie gehan­delt wer­den soll. 

Seit ihr hier als Eltern uneins — dies verun­sichert die Pflege­fachkräfte, denn hier sollte „automa­tisch“ nach einem Algo­rith­mus gear­beit­et wer­den und egal wer als Eltern­teil mit beim Kind dabei ist: Es ist kein Platz für Diskus­sio­nen.

Stellt Euch vor, Ihr habt eine Panne mit dem Auto und jed­er der Fahrgäste sagt etwas anderes, was zu machen sei. Da kann es schwierig wer­den, einen Lösungsweg zu find­en.

Medika­menten­tisch im Inten­sivz­im­mer

Wähle den Familiensprecher

Für Abhil­fe kann hier die Wahl eines Fam­i­lien­sprech­ers sein. Dies ist keine neue Idee. Ich hat­te es ein­mal über einen Altenpfleger ken­nen­gel­ernt.

Die / der Fam­i­lien­sprecherIn, sei es die Mut­ter, sei es der Vater — über diesen, nur über ihr / ihm, laufen alle Fra­gen des Kinder­hos­pizes zur Pflege und Ther­a­pie des Kindes. 

Sie oder er ist das Bindeglied zwis­chen der Fam­i­lie und dem Team vom Kinder­hos­piz oder ambu­lanten Pflege­di­enst. 

Prak­tisch sieht es so aus:

  • Dem Pflegeteam wird die / der Fam­i­lien­sprecherin mit­geteilt — über ihm laufen alle ther­a­peutis­che / pflegerische Fra­gen vom Team und den Ärzten zusam­men.
  • Sind bei­de Eltern­teile im Gespräch dabei, hat das Red­erecht der Fam­i­lien­sprech­er.
  • Müssen die Eltern eine Entschei­dung tre­f­fen, dann bit­ten sie um eine Bedenkzeit, um es untere­inan­der zu klären (außer im Not­fall, sollte dies immer möglich sein).
  • Um im Not­fall keine Diskus­sio­nen zu erleben, soll­ten alle Not­fälle / Krisen erfasst und gek­lärt wer­den (ich weiß, es nicht ein­fach — bedenke hier, es ist jed­erzeit eine Änderung „des Fahrplanes“ möglich).

Die Mutter ist doch zuständig

In vie­len Fam­i­lien pflegt die Mut­ter das lebensverkürzt erkrank­te Kind. Dies ergibt sich zum Beispiel aus der tra­di­tionellen Rol­len­teilung, die in vie­len Fam­i­lien noch gelebt wird oder gelebt wer­den muss (Ehe­mann bekommt mehr Lohn als seine Frau im Job). 

Doch, nur als Tipp, kann auch der Vater hier den Part des Fam­i­lien­sprech­ers im Kinder­hos­piz oder gegenüber dem Inten­sivpflege­di­enst übernehmen. 

Durch seinen Abstand von der Pflege kann es möglich wer­den, die eine oder andere Frage struk­turi­ert­er zu erfassen und kri­tisch Rück­fra­gen stellen: Um was geht hier „wirk­lich“?

Auch gibt es ihm einen Raum zurück bei der Ver­sorgung seines erkrank­ten Kindes mitzuwirken, das Fam­i­lien­leben zu gestal­ten. Dadurch kann bei­den Eltern­teilen wieder ein Gemein­sam bewusst wer­den, wenn es um das schw­er erkrank­te Kind geht. 

Dies wäre für die eine oder andere Beziehung eine Chance: Das Paar kann dadurch wieder enger zueinan­der wach­sen — es ist gle­ichzeit­ig Beziehungspflege.